
Das Dunkle und das Helle
Die Vorstellung immer auf der Sonnenseite des Lebens zu sein, ist sehr verlockend. Ich denke aber, dass wir alle auch die dunkle Seite kennen. Die einen vielleicht nur die Dämmerzone und andere auch tiefschwarze Orte. Und das ist ok. Ob man nun durch einen Streit, einen Todesfall, eine Krankheit oder Zukunftsängste in die Dunkelheit gezogen wird: man darf das zulassen. Solange auch wieder nach dem Weg ins Sonnenlicht gesucht wird.
Ist die Orientierungslosigkeit riesig, was furchtbar angsteinflössend ist, sollte man unbedingt eine Vertrauensperson nach dem Weg fragen. Denn zusammen findet man den Weg zurück oft etwas einfacher.
Ich denke mir, dass man neben den hellen, auch die dunklen Tage zulassen soll. Denn vielleicht können wir die Helligkeit nur richtig schätzen, wenn wir auch die dunkle Seite kennen.
Ich habe schon sehr viele unvergessliche Momente im Sonnenlicht erlebt. Aber auch schon einige Momente in ziemlicher Dunkelheit. Manchmal habe ich den Weg zurück alleine gefunden und manchmal musste mich jemand an der Hand nehmen. Aber nur schon das Wissen, dass es auch eine helle Seite gibt, konnte mir dann die Dunkelheit wenigstens etwas erträglicher machen.
Genau um diese Gegensätze und dass es in Ordnung ist, auch mal in der Dunkelheit zu sein, geht es im heutigen Buch.
„Das Dunkle und das Helle“ von Kerstin Hau ist im 2019 im NordSüd Verlag erschienen. Es umfasst 40 Seiten und wird für Kinder von vier bis sechs Jahren empfohlen. Allerdings finde ich, dass das Bilderbuch auch für ältere Kinder geeignet ist.
In der Dunkelheit lebt das Struppige und im Sonnenlicht das Zarte. Beide kennen die andere Seite nicht und getrauen sich mutig an den Rand zur jeweilig anderen Seite. So lernen sie sich kennen und schliessen Freundschaft. Doch plötzlich ist das Zarte verschwunden, bis es in der Dunkelheit wieder auftaucht. Das Struppige nimmt das traurige Zarte an der Hand und zeigt, dass die Dunkelheit gar nicht so angsteinflössend ist, wie das Zarte gedacht hat. Irgendwann beschliessen die beiden im Sonnenlicht ein Haus zu bauen, allerdings ohne ihr Haus in der Dunkelheit aufzugeben.
Das Buch zeigt dem Leser, was mit Freundschaft alles möglich ist und dass die hellen und die dunkeln Tage zum Leben gehören.
„Das Dunkle und das Helle“ wurde von Julie Völk sehr aufwändig mit Cyanotypie (die älteste Fototechnik) illustriert. Die Dunkelheit, das Sonnenlicht und das Dämmergraublau werden sehr klar aufgezeigt. Die gesamte Darstellung wirkt auf mich sehr liebevoll.
Für mich ist es ein sehr empfehlenswertes Buch. Einerseits um darauf aufmerksam zu machen, dass es wichtig ist Vertrauenspersonen zu haben. Und Andererseits zeigt es auf eine aussergewöhnliche Art und Weise, dass es normal ist gute und schlechte Momente im Leben zu haben.
(Und wenn Kind 1 und 2 älter sind und wir das Buch zusammen anschauen, werde ich Solarpapier kaufen gehen, um die Cyanotypie anhand der Anleitung im Buch auszuprobieren. Bin schon gespannt.)

